Frauenschicksale in der NS-Zeit in der Täter-Opfer-Relation / besondere Veranstaltung an der Kinzig-Schule für den BG-Abiturjahrgang und Interessierte
Von Oberstudienrat Richard Guth
(27. 01. 2024) Eine besondere Veranstaltung fand – auf Initiative von Oberstudienrat Günther Fecht und durch finanzielle Unterstützung des Fördervereins der Schule – am diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus an der Kinzig-Schule statt. Die Veranstaltung wurde von Oberstudienrat Heiko Schmidt, dem Leiter des Fachbereichs 2, moderiert. Die Urenkelin einer Widerstandskämpferin las aus deren Erinnerungen und bot damit für Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums (Jahrgang 13) einen persönlichen Einblick in die nationalsozialistische Lebenswirklichkeit.
Billie Rehwald heißt die Urenkelin, die ausgewählte Auszüge aus dem Werk „Ich war keine Heldin” der österreichischen Widerstandskämpferin („stille Nationalheldin Österreichs”) Antonia Bruha vorstellte. Eingeleitet wurde die Lesung der Wienerin durch die BG-Schülerin Lorena Busch, die ihre wissenschaftliche Hausarbeit im Fach Geschichte dem Schicksal von Widerstandskämpferinnen widmete. Die Schülerin betonte in ihrem Kurzvortrag, dass sie bei ihrer Recherche auf viele unbekannte Namen gestoßen sei, wodurch sie den Eindruck gewonnen habe, dass beim Gedenken an die NS-Zeit die Widerstandskämpferinnen unterrepräsentiert seien. Sie wünscht sich daher, „auch Frauen in den Geschichtsbüchern wiederzufinden”.
Die Memoiren von Antonia Bruha stellen dabei sicherlich einen wichtigen Beitrag dar. In ihrem Buch versucht die Wienerin das Erlebte aufzuarbeiten. Ihre Stärke lag nach Eindruck der Urenkelin Billie Rehwald in der Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen und an Menschlichkeit zu glauben. Ihr Widerstand äußerte sich unter anderem durch das Verteilen von Flugblättern – ein Verrat habe sie in die Fänge des Regimes gebracht. Ihr drei Monate alter Säugling sei ihr dabei genommen worden. Nach drei Jahren Haft im KZ Ravensbrück mit viel menschlichem Leid und abschließendem Todesmarsch gelangte sie über Polen und die Tschechoslowakei nach Wien – die von der Lagerzeit gezeichnete Frau sei vom eigenen Kind, bis dahin betreut von der Nachbarin, nicht wiedererkannt worden. Auch die Reintegration in die österreichische Postkriegsgesellschaft gestaltete sich nicht einfach, man habe sie und andere Widerstandskämpfer/innen als „Dorn im Auge der Gesellschaft” empfunden. Antonia Bruha starb mit 96 Jahren, als die Urenkelin 17 war. Auch wenn die Uroma trotz des Meidens des Themas in der Familie viel über ihr Schicksal erzählt habe, habe erst Bruhas Erinnerungen in Buchform ihr das Schicksal der Urgroßmutter nähergebracht.
Ein ganz anderes Frauenschicksal stellte im Rahmen der Veranstaltung die Vorsitzende des Schlüchterner Geschichtsvereins, Kerstin Baier-Hildebrand, vor. Das der Heidelberger Emma Zimmer, die als KZ-Aufseherin in Ravensbrück und Auschwitz tätig war und es zur Oberaufseherin brachte. Nach dem Krieg wurde Zimmer, verheiratet mit dem aus Schlüchtern stammenden Chef des Reichsarbeitsdienstes, von der britischen Armee verhaftet, für Verbrechen an alliierten Gefangenen verurteilt und 1948 hingerichtet. Baier-Hildebrand forschte hierzu unter anderem in britischen Archiven.
Zwei Frauenschicksale, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber beide enthalten wichtige Erkenntnisse für die nachkommenden Generationen. Gerade an einem Tag wie dem 27. Januar.