Wenn eine Eins vor dem Komma steht

Kinzig-Schule verabschiedet leistungsstärksten Abiturjahrgang ihrer Geschichte / Abiturschnitt liegt bei 1,99

Von Oberstudienrat Richard Guth

Eine Mauer aus Umzugskartons empfing an diesem 7. Juli 2023 die Besucher des Abiturgottesdienstes des Beruflichen Gymnasiums der Kinzig-Schule. Begriffe wie Verzweiflung, Stress, Einsamkeit waren auf der einen Seite der Mauer zu lesen, auf der anderen wiederum Glaube, Freude oder Gemeinschaft. Schulpfarrer Stephan Gleim und Religionslehrer Stefan Lengsfeld riefen gemeinsam auf, unterstützt von Schülerinnen und Schülern, die den Gottesdienst mitorganisierten und -gestalteten, die Mauer der Angst abzubauen und sich auf gemeinschaftliche Werte, die den Abiturjahrgang auch dieses Jahr auszeichnete, zu besinnen. Besiegelt wurde dies von einem gemeinsamen Gebet der Abiturientinnen und Abiturienten zum Abschluss des Gottesdienstes.

Auch die Gedanken des Schulleiters der Kinzig-Schule, Oberstudiendirektor Karsten Günder, kreisten in der Matinee um gemeinschafliche Aufgaben, die bewältigt werden mussten. Er bediente sich dabei der griechischen Mythologie, insbesondere der Figur des Herkules, der sich „herausfordernden Aufgaben stellen” musste, genauso wie die 78 Abiturientinnen und Abiturienten in diesem Jahr. Aber auch das Schicksal des Ikarus rief der Schulleiter in Erinnerung und warnte vor Selbstüberschätzung, vor der die Mitglieder des Jahrgangs glücklicherweise von ihren Eltern hätten bewahrt werden können. Trotz der ganz menschlichen Unvollkommenheit habe der Jahrgang „Standing, Kondition, Reife (…), Biss und Erfolgshunger gezeigt” und damit einen Abiturschnitt von 1,99 erzielt, „den besten Wert, den unsere Schule, unser Berufliches Gymnasium jemals erreicht hat”. Schulleiter Günder gratulierte auch drei weiteren Jahrgangsmitgliedern zum schulischen Teil der Allgemeinen Hochschulreife. Nun würden, so Günder, „neue Herkulesaufgaben” wie Studium, Duales Studium oder Ausbildung auf den Abijahrgang warten, aber durch Mut, Initiative und Schläue dürften diese auch in Folge, „in der deutlich raueren Arbeitswelt” bewältigt werden können.

Studiendirektorin Bettina Fest, Abteilungsleiterin des Beruflichen Gymnasiums, betonte, dass es „nicht das eine Glück” gebe, und stellte drei Arten von Glück in den Mittelpunkt ihrer Ansprache. In Bezug auf die Reifeprüfung sprach sie davon, dass man manchmal Glück brauche, und in diesem Fall könne man von Zufallsglück sprechen. Durch Ausdauer und harte Arbeit gelange man zum Lebensglück – Glück hänge dabei generell von der Einstellung zum Leben ab. Die Zukunft erfordere bewusste Entscheidungen, um zur dritten Art von Glück, dem Wohlfühlglück zu gelangen. Das durch das Abitur Erreichte verlange auch Dankbarkeit und hier nannte die Abteilungsleiterin Personen aus dem schulischen und persönlichen Umfeld der Abiturientinnen und Abiturienten, die ihnen auf ihrem Weg beigestanden hätten.

Im Anschluss an die Festansprachen überreichten die Tutorinnen und Tutoren die Abiturzeugnisse. Religionslehrer im Kirchendienst Stefan Lengsfeld (LK Deutsch 1) sprach von „erstklassigen jungen Menschen”, die Reife bewiesen hätten, indem sie sich in den vergangenen Jahren eingearbeitet hätten um im Leben auszukennen, ganz im Sinne von „mehr wert zu sein” als der eigene Abischnitt. Studienrätin Nicole Weißenstein (LK Deutsch 2) wagte einen Rückblick auf das Vergangene und sprach in Bezug auf ihren Kurs von einem Puzzle, in dem jeder ein Puzzlestück darstelle. Oberstudienrat Günther Fecht (LK Englisch 1) sah sich nach eigenem Bekunden in der Rolle eines Fußballtrainers und so ordnete er die Mitglieder seines Kurses je nach Leistung einer „starken Offensivabteilung”, einem engagierten Mittelfeld und einer etwas passiven Abwehr zu, die aber insgesamt wie im Sport eine Mannschaft gebildet hätten. Dem zweiten Englisch-Leistungskurs gratulierte Studiendirektorin Vanessa Fecht zum bestandenen Abitur, womit man „die erste Hürde” genommen habe. Sie blickte auf den „schwierigen Anfang mit Maske” zurück und wünschte den ehemaligen Kursmitgliedern ein erfülltes Leben. Gymnasiallehrerin Margarete Kolenda beglückwünschte ihren Kurs (LK Mathematik) sichtlich gerührt und sprach von einer „Mausefalle Mathematik”, in deren Rahmen die Mitglieder aber viele wertvolle Kenntnisse fürs Leben erworben hätten. Studienrätin Evelyn Röhrig (LK Biologie) gratulierte ihrem „Hochleistungskurs” zum bestandenen Abitur und verglich die Feier mit einem Erntedankfest.

Am Ende der Matinee wurden die Jahrgangsbesten mit einem Schnitt von 1,0 geehrt, allen voran die Gesundheitsschülerin Valentina-Vanja Nikolic, die 882 von 900 Punkten erreichte, ein historischer Wert in der 31-jährigen Geschichte des Beruflichen Gymnasiums. Ihr folgten im Ranking Pauline Lenkersdörfer (868 P.), Justus Röder und Ömer Keleş (je 852 P.) sowie Hannah Döppenschmidt (832 P.).

Freude und ein Gefühl der Gemeinschaft erfüllten die Festgemeinde an diesem Tag, ganz im Sinne der Organisatorinnen und Organisatoren des vorangegangenen Abiturgottesdienstes. Nun ist aber die Stunde des Abschieds gekommen, wie vor zehn Monaten an einem warmen Septembertag in London, als die langjährige britische Königin Elisabeth II. zu Grabe getragen wurde, was der Jahrgang als Motto wählte. Das entstandene Gemeinschaftsgefühl dürfte aber dennoch Mauern überwinden und den Abschied nicht als endgültig erscheinen lassen.